Wir kennen das alle: Jemand bittet uns, etwas zu tun, das wir nicht wirklich möchten: eine Aufgabe übernehmen, an einem Meeting teilnehmen oder für jemanden einspringen. Wir haben eigentlich keine Zeit dafür, sagen dennoch zu und bereuen es später. Vielleicht geraten wir sogar häufig in solche Situationen. – Diese Tendenz zum Ja-Sagen möchten wir ändern.
1 Besprecht die Situation im Team
Meist teilen wir mit anderen die Schwierigkeit, Nein zu sagen. Schlagt daher vor, im Team oder im Unternehmen folgende Regel aufzustellen: Statt Kolleg:innen zu fragen:
● „Könntest Du bitte … tun?“ oder
● „Hast du Lust, … zu übernehmen?“
sollten wir einander so ansprechen:
„Schau mal, hier ist folgende Aufgabe: … Hättest du Kapazitäten dafür?“
2 Klärt grundsätzlich die Arbeitslast
Wenn ihr im Team den Eindruck habt, dass sich die Übernahme von Extra-Aufgaben häufen, solltet ihr die Ebene wechseln und gemeinsam besprechen, ob sich die Arbeitslast im Team sinnvoll verteilt oder grundsätzlich zu hoch ist. Falls dies zutrifft, kann man die Gründe dafür erforschen und ggf. an der Kommunikation, den Zuständigkeiten oder dem Prozessmanagement arbeiten.
Oft werden wir ja ganz unvermutet um einen Gefallen gebeten, so dass wir überrascht sind. Einige grundsätzliche Praktiken können uns helfen, im Vorfeld das Einstehen für unsere eigenen Interessen zu stärken:
3 Denk darüber nach, warum du zum Ja-Sagen neigst
Reflexion ist der erste und oft auch der wichtigste Schritt, um unser Handeln zu ändern. Nimm dir daher einmal eine halbe Stunde Zeit und denk darüber nach, warum es dir so schwer fällt, Nein zu sagen:
● Habe ich Angst, nicht gemocht bzw. nicht als Teamplayer gesehen zu werden?
● Befürchte ich negative Folgen für meine Karriere?
● Möchte ich nicht egoistisch oder herzlos wirken?
● Will ich eine interessante Aufgabe nicht verpassen?
● Möchte ich die andere Person nicht enttäuschen?
Gib auch gern einem Freund / einer Freundin diese Fragen mit der Bitte, sie mit dir durchzugehen und ggf. ein wenig nachzuhaken. Das ist oft noch wirksamer, als wenn man allein darüber nachdenkt.
4 Schreib auf, was dir wichtig ist
Viele unserer Ziele und Bedürfnisse befinden sich nur in unserem Kopf. Dort schwirren sie oft vage herum und werden leicht beiseite geschoben. Dazu kann es oft schon reichen, wenn unser Gegenüber im Gespräch die Brauen zusammenzieht, besonders lieb guckt oder gestresst erscheint. – Um mehr Klarheit und Bestimmtheit zu erlangen, hilft es, eine Liste mit den eigenen Zielen und Bedürfnissen zu erstellen. Die allgemeineren Ziele kannst Du einmal im Monat aufschreiben, die konkreteren jeden Tag. Mögliche Fragen sind:
● Welche Dinge sind mir wichtig?
● Welche Projekte möchte ich mit der bestmöglichen Qualität erledigen?
● Wieviel Zeit brauche ich dafür?
● Wie wichtig ist mir Erholung?
● Wie viel Zeit möchte ich mit meiner Familie oder für mich selbst verbringen?
Dies Fragen stärken zwei Dinge: Zum einen fällt es uns leichter, unsere Bedürfnisse im Gespräch zu formulieren, da wir sie schon einmal ausformuliert haben. Zum anderen haben aufgeschriebene Bedürfnisse, insbesondere, wenn wir sie im Gespräch vor uns liegen haben, eine viel verbindlichere Wirkung, als wenn wir nur an sie denken.
5 Jedes Nein ist auch ein Ja
Mach dir wirklich einmal bewusst, dass jedes Nein immer auch ein Ja zu einer anderen Sache bedeutet. Stell die Regel auf, dich in der konkreten Situation etwas weniger auf das Nein zu konzentrieren und stärker auf das Ja zu den Dingen, die dir wichtig sind (siehe Punkt 4).
6 Weitere Tipps, um dein Mindset zu stärken
Versuch dich außerdem an Situationen zu erinnern, in denen du selbst tatsächlich Nein gesagt hast zu anderen Personen: Was genau ist passiert? War die andere Person dir böse? Wie hast du dich gefühlt?
Denke darüber nach, ob es typische Situationen gibt, in denen Du das Gefühl hast, zu leicht Ja zu sagen. Was zeichnet sie aus: Ist es etwas an der anderen Person (berufliche Position, Gesichtszüge, Charakter)? Liegt es an deiner eigenen Verfassung (gestresst, gut gelaunt, müde)? An der Art des Gesprächs (zu zweit, in der Gruppe)? Oder ist es etwas anderes?
Einmal angenommen, du bittest jemanden um einen Gefallen und die Person lehnt höflich ab. – Hältst du die Person dann für egoistisch? Magst du sie weniger?
7 Verlege die Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt
Oft erwischt man uns mit der Bitte um Extra-Aufgaben in einem ungünstigen Moment. Gerade wenn wir erschöpft oder gestresst sind, fallen wir auf tiefsitzende Verhaltensmuster zurück. Vor allem sehr entgegenkommende Menschen tendieren dann noch stärker dazu, Ja zu sagen. Erstellt für solche Fälle eine kleine Wenn-Dann-Regel: Immer, wenn ich erschöpft bin und mich jemand um etwas bittet, dann sage ich:
● „Lieb, dass du fragst. Ich bin gerade etwas k. o. und würde mich gern noch sortieren. Ich spreche dich [später / in einer Stunde / morgen] wieder darauf an. Einverstanden?“
● „Ich weiß nicht, ob und wann ich das zeitlich unterbringen kann. Kann ich morgen damit auf dich zukommen?“
● „Ich bin im Moment bin ich etwas überrumpelt. Gib mir zehn Minuten und dann sage ich dir Bescheid.”
● „Danke, dass du fragst. Ich schau gerade einmal über mein anderes Arbeitspensum und gucke, ob ich das auch wirklich unterbringen kann. Ich melde mich dann wieder bei dir.“
● „Lass mich mal kurz nachdenken, ich melde mich gleich wieder bei dir.“
● „Lass mich einmal über meine aktuellen Projekte schauen, ich melde mich am Nachmittag wieder bei dir.“
8 Denk in der gewonnenen Zeit darüber nach, was dir wichtig ist
Ebenso, wie wir grundsätzlich über das nachdenken sollten, was wir erreichen möchten (siehe Punkt 4), können wir uns auch in der Zeit, die wir im vorherigen Schritt gewonnen haben, ein wenig sammeln und uns unsere Bedürfnisse vor Augen halten. Dazu können wir z. B. folgende Fragen verwenden:
● Wie viel Zeit, Kraft, Energie und Lust habe ich gerade selbst?
● Was muss eventuell wegfallen oder verringert werden, wenn ich der Bitte nachkomme?
● Wer ist es, der mich da um einen Gefallen bittet? Welche Bedeutung hat dieser Mensch für mich? In welchem Verhältnis stehen wir zueinander? Wie oft habe ich schon etwas für diese Person getan? Möchte ich es tatsächlich noch einmal tun?
9 Sei neugierig
Falls Du in der Situation ein bisschen Energie bzw. Zeit hast, ist es meist ratsam, zunächst mehr Informationen über die Aufgabe einzuholen, um die Du gebeten wirst. Geh dazu mit der anderen Person die einzelnen Aspekte und den Umfang der Aufgabe durch. Versuch herauszufinden, ob sich eventuell Alternativen bieten, ob man die Aufgabe teilweise übernehmen könnte und ob schon andere Personen gefragt worden sind. Versuch schließlich auch zu ermitteln, warum diese Sache für die Person wichtig ist. Das Bedürfnis der anderen Person zu kennen, hilft uns, die Bitte besser einzuordnen, und hilft der anderen Person, sich besser verstanden zu fühlen.
● Kannst du mir ein bisschen mehr dazu erzählen? Wobei genau soll ich dich unterstützen? Was gehört alles dazu?
● Was glaubst du, wie viel Zeit wird das in Anspruch nehmen?
● Hast du schon jemand anderen gefragt?
● Welchen Beitrag erwartest du genau von mir?
Durch solche Neugier gewinnen wir (wie bei Punkt 7) überdies wertvolle Zeit, um uns von unserer ersten Reaktion zu distanzieren. Und zumindest erhalten wir so, selbst wenn wir schließlich doch Ja sagen, mehr Klarheit über das, was letztlich auf uns zukommt.
10 Gib die Entscheidung an dein Gegenüber zurück
Statt selbst zu entscheiden, ob man Ja oder Nein sagen sollte, kann es in manchen Situationen helfen, die andere Person miteinzubeziehen. Erkläre dazu wertungsfrei deine Lage und deine Bedürfnisse und frage dein Gegenüber:
● „Wenn ich diese Aufgabe übernehme, kann ich mich nicht bzw. weniger um die Aufgabe … kümmern. Was ist dir wichtiger?“
11 Sag teilweise zu, wenn das für dich möglich ist
Vielleicht möchtest Du die Aufgabe nicht ganz, sondern teilweise bzw. nur mit Unterstützung übernehmen. Dann kannst Du Folgendes sagen:
● „Ich kann diese Aufgabe aktuell nicht übernehmen. Wenn es etwas Zeit hat, kann ich mich in … Tagen damit beschäftigen. Reicht dir das?“
● „Ich kann das gerne bis übermorgen übernehmen. Das Ergebnis wird aber schlechter sein, als wenn ich mehr Zeit dafür hätte.“
● „Im Moment habe ich sehr viel auf dem Schreibtisch und kann dir nicht zusagen, dass ich die Aufgabe in der vorgegebenen Zeit erledigen kann.“
● „Wenn Du möchtest, dass die Aufgabe bestmöglich bearbeitet wird, kann ich das im Moment nicht leisten. Was ich leisten kann, ist einen Beitrag dazu bzw. einen Teil davon. Wenn Du noch eine andere Person findest, die mich unterstützt, übernehme ich gerne.“
12 Steh zu deinen Bedürfnissen und lehne höflich ab
Oft neigen wir dazu, uns mit dem Hinweis auf angeblich zwingende äußere Umstände herauszureden: „Ich muss noch … erledigen.“ / „Ich kann leider nicht, weil ich da … muss.“ Beide Parteien haben dann nicht selten das Gefühl, dass es sich eher um eine Ausrede handelt oder zumindest haben wir selbst mitunter ein Eindruck, ein bisschen unredlich zu sein: Eigentlich geht es nicht darum, was wir müssen, sondern darum, was wir wollen. – Versucht daher beim Nein-Sagen zu betonen, was ihr wollt und was euch wichtig ist:
● „Ich habe heute noch … vor und kann … deshalb nicht erledigen. Ist das okay für dich?“
● „Ich möchte noch … schaffen und kann das deshalb nicht unterbringen.“
● „Ich konzentriere mich gerade auf … , daher kann ich das nicht übernehmen.“
● „Mein Terminkalender ist rappelvoll. Wenn ich das übernehme, schaffe ich nicht die Aufgaben, die mir wichtig sind.”
Ein weiterer Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass es unsere innere Haltung und Durchsetzungsfähigkeit stärkt: Unsere Bedürfnisse sind genauso wichtig wie die der anderen Person.
13 Lehne die Sache ab, nicht die Person
Sehr hilfreich ist es, im Gespräch die Aufgabe, um die es geht, von der Person zu trennen, die sie uns übertragen will. Dies können wir entweder innerlich tun, indem wir uns diese Aufgabe bildlich vorstellen, z. B. als ein großes, schweres Paket; oder wir können, wenn jemand mit einen Blatt Papier zu uns kommt oder mit einem Laptop, uns gemeinsam räumlich dem Gegenstand zuwenden, der die Aufgabe repräsentiert, z. B. indem man Seite an Seite auf den Bildschirm schaut. Dieser kleine psychologische Kniff verringert unsere (fast immer ganz unbegründete) Angst, die Person abzulehnen und der Beziehung zu schaden.
14 Helft eurem Gegenüber, Alternativen zu finden
● „Lass uns gemeinsam überlegen, wer außer mir diese Aufgabe übernehmen könnte!“
● „Ich sehe, wie wichtig dir das ist. Ich möchte das aus … Gründen im Moment nicht übernehmen. Frag doch bitte mal bei … nach, die auch das fachliche Wissen hat und vielleicht mehr Zeit als ich im Augenblick.“
15 Was, wenn unser Gegenüber hartnäckig bleibt?
Hier kannst du drei Dinge tun: (1) Erkenne ausdrücklich das Bedürfnis und den Nachdruck der anderen Person an. (2) Hilf ihr, zu verstehen, dass die Aufgabe deinen aktuellen Bedürfnissen entgegenläuft und worin diese bestehen und (3) wiederhole freundlich dein Nein. Hier ist eine Möglichkeit, dies zu tun:
● „Ich sehe, dass dir das sehr wichtig ist. Du scheinst mich wirklich umstimmen zu wollen. Ich würde die Aufgabe auch gern übernehmen, aber ich möchte [heute pünktlich Feierabend machen / den Entwurf beenden], um [mich zu erholen / die Deadline einzuhalten].“
16 Achte auf folgende Fallen
Manchmal benutzen wir Wendungen, die es unserem Gegenüber leicht machen, uns die Aufgabe zu übertragen. Diese Wendungen zeichnen sich durch mangelnden Bezug auf unsere wirklichen Bedürfnisse aus und sind oft nur schnell vorgeschoben. Die sollten wir vermeiden. Hier sind zwei typische Beispiele:
● Du: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das heute noch schaffe.”
Antwort: „Ach kein Problem, das hat bis übermorgen Zeit. Dankeschön!“ oder:
● Du: „Vermutlich könnte ich das gerade nicht mit voller Aufmerksamkeit erledigen.”
Antwort: „Ach, das ist nicht schlimm. Ein schneller Entwurf reicht völlig hin. Muss nicht supergenau sein. Dankeschön.“
Entschuldigt euch nicht! Sich nicht für ein Nein zu entschuldigen, mag schwer einleuchten oder sogar unhöflich erscheinen. Doch wenn wir klar unsere Bedürfnisse darstellen und unsere Position formulieren (siehe Punkt 12 & 15) und der anderen Person gegenüber offen sind, gibt es keinen Anlass sich für etwas zu entschuldigen: Worin läge hier unsere Fehlleistung? – Durch unsere Entschuldigung würden wir bestenfalls Mitleid für die Arbeitslast der anderen Person kommunizieren. Und mit diesem Mitleid ist niemandem geholfen – mit einem ehrlichen Austausch über Bedürfnisse aber beiden Seiten.
Respektvolles Ablehnen kannst Du auch mithilfe der Kleinen Experimente üben. Für die Priorisierung, z. B. um Punkt 4 zu erleichtern, kann Du Lassen, Kürzen, Weiter! nutzen.